Salvador Dali
Die Versuchung des hl. Antonius hl. Antonius, 1946.
Öl auf Leinwand,
90 x 120 cm. Brüssel, Musees
Royaux des Beaux-Arts.Dali,
Die Legende vom hl. Antonius in der Wüste, der von bösen Versuchungen gepeinigt wird, ihnen aber heroisch widersteht, hat eine Bildtradition, die bis ins 15. Jh. zurückreicht. Anders als für die religiösen Maler der anbrechenden Neuzeit, besaß für den Surrealisten Dali die Welt der Triebe ebenso faktische Bedeutung wie die von Verstand kontrollierte Alltagswirklichkeit – oder auch die Sphäre des Glaubens. Angeregt durch die Schriften Freuds und von der Lust am Experiment, motiviert von der Suche nach anderen, irrationalen Wahrheiten, versuchten die Surrealisten in die Symbolwelt des Unbewussten, der Triebe, des Rauschhaft-Dionysischen vorzudringen. Aus der ungehemmten Assoziationskraft Dalis brachen immer neue, phantastischere und monströsere Bildwelten hervor.
Dali gestaltete sie mit einer eiskalt beobachtenden, fotografisch genauen Technik, will sie so anscheinend verifizieren. Bevor er sich Anfang der fünfziger Jahre in Europa persönlich wie künstlerisch (und unter dem mystifizierten Einfluß seiner abgöttisch geliebten Frau Gala) dem Religiösen zuwandte, malte er 1946, noch in New York, dieses Bild der sexuellen Versuchung. Einer Fata Morgana gleich bewegt sich die Karawane mit den Elefanten und dem weißen Pferd aus der endlosen Wüste auf den Einsiedler zu. Abwehrend streckt Antonius ihnen sein Kruzifix entgegen, worauf sich das anführende weiße Roß, wie von einer tatsächlichen Kraft veranlaßt, aufbäumt.
Die Elefanten tragen ihm die unzweideutigen Zeichen der Versuchung zu: eine herausfordernde Frau mit nackten Brüsten, einen spitz aufragenden Obelisken – Symbol für den Phallus -, einen zweiten nackten Frauenoberkörper im offenen Portal einer kleinen Renaissancekirche. Die weltlichen Lüste, vor denen sich der Eremit in die Wüste zurückgezogen hatte, um seine Buße abzuleisten, bedrängen ihn hier visionär, dafür um so stärker. Scheinbar stellt Dali hier die Kraft des Glaubens noch unter das Diktat der sexuellen Triebe; doch sein Bild zieht in Wirklichkeit nur die Analogie zwischen Religion und Sexualität, offeriert keine Lösung.