In Auseinandersetzung mit dem Kubismus, aber auch Robert Delaunays »orphischer Malerei« entstanden Chagalls sog. »klassische Bilder«, zwischen 1911 und 1914, zu denen auch das hier besprochene Bild „Der Geiger“ gehört. Mittelpunkt des Bildes ist ein Stehgeiger, wie er in Chagalls Heimat von Dorf zu Dorf zog und zu festlichen Anlässen aufspielte. Um ihn herum sind einzelne, unverbunden schwebende Teile einer schneebedeckten, dörflichen Landschaft zu sehen.
Häuser, eine Kirche, Figuren, Vögel in einem Baum. Die surreale, traumhafte Atmosphäre des Bildes wird verstärkt durch die fehlende Perspektive und den fehlenden Bezug des fast das ganze Bild ausfüllenden Geigers zu den übrigen Bildteilen. Hinzu kommt die unwirkliche Farbigkeit der Szene: das grüne Gesicht des Geigers, die gelbe Violine, der blaue Baum. Die in späteren Bildern deutlicher werdende kubistische Gliederung – wie auch die auf Delaunay verweisende Farbigkeit – ist hier noch kaum zu erkennen. Die heitere Naivität der Komposition und die traditionelle Thematik zeigen ganz deutlich jene Verwurzelung mit der russisch-jüdischen Tradition, die Chagall auch in späteren Bildern mit surrealen Traumszenerien nur scheinbar verloren hat.